Pressestimmen


Sitzfleisch für das OFF
STUHLUNGEN im Schlot Theater


Samstag Nachmittag. Das Theater trifft sich wieder in Berlin, und alle rennen zur ersten Aufführung ins Schiller-Theater: Ibsens „Die Wildente“. Bitte bloß keine Aufregung: Ibsen schreibt Theater mit dem Hammer Die auf der Bühne müssen immer wieder allgemeine Sätze der Weltphilosophie und die Zusammenfassung ihrer Motivation überzeugend vermitteln Die Schauspieler sind natürlich hervorragend, aber bitte bloß keine Inszenierung, die dem Text im Weg steht: Das Bühnenbild ist so konservativ, dass nicht mal die Tischlampe mit grünem Glasschirm fehlt. Dies hier ist keine Infragestellung des Theaters, sondern ein dumpfes „hier Bühne, da Publikum , und voilá“. Wenn das Theater nicht ständig an Grenzen stößt, dann wir dieses Medium tatsächlich zur Message, und es gibt keinen Unterschied mehr zwischen den besten staatlichen Bühnenproduktionen und dem, was man in der Schule mal mit Brecht versucht hat ( außer, dass der eine oder andere Schauspieler schon mal in einem Tatort mitgemacht hat).
Hat wirklich keiner Lust, Ibsen mal ironisch zu spielen? Die Wildente überlebt am Ende so oder so.
Mit Frustfalten auf der Stirn hofft man doch wieder, dass die kleineren Off-Bühnen etwas zu bieten haben zumindest genug, um die Hoffnung nicht endgültig begraben zu müssen, Sitzfleisch für interessantes Theater opfern zu können.
Donnerstag Abend: Es nieselt ein wenig im Schlot, dem Hinterhof im Prenzlauer Berg, aber die Barfüßigen beginnen trotzdem ihren Tanz auf kalten Steinen. Die gelb-lila Frauenyogi wandelt sich zu einem Vogel, der dann die Begegnung mit einer in den Blättern wühlenden feiert; der blaue Mann im Schrottstuhl überreicht eine Todesblume an die frauenplastikumschlingende langhändige Schönheit, während eine schwarzblutige gegen die Stahltür des Hofes trümmert. Die Zuschauer sind an den Rand gedrängt und trauen sich nicht zu den Treppen. Wenn sie den Schritt wagen, sind sie mittendrin, einer tanzt sogar spontan mit. Dies ist aber nur die Anfangscollage der sogenannten “Tanz-Bild-Stuhlobjekt-Sonate STUHLUNGEN“. Drei Etagen höher, vorbei an surrealistischen Schubladen, landet man in einer „Ausstellung“, wobei die jeweiligen Objekte mit Menschen bestückt sind. Die grelle Frau in Rosa auf dem Sofa wacht langsam auf, zeigt ihr Plastik-Puppenkind, das aber nicht lange ihren Schutz genießt: mit einem „ Darf ich ?“ wird es zu Boden geschmissen. In der Ecke streckt sich eine in Freude empor, eine Freude, die sich bald in Klaustrophobie und Angst wandelt: sie stürzt herab, vor die Füße des Publikums. Immer wieder überrascht die Nähe. Wenn man direkt angesprochen wird oder mitten im „Weg“ steht, ist eine Flucht vor der Intensität des Tanzes kaum möglich. Die gesprochenen Worte erinnern plötzlich daran, dass diese tanzenden Wesen nicht nur Emotionen sind, sondern noch andere Organe besitzen, um Gefühle einmal klar, das es zum Übergang gekommen ist, und das Publikum geht die Treppen zum Theatersaal herunter.
Nun hat Margherita Scaturati ihre Stunde, eine in München ansässige Italienerin, die die Höfe von Ost-Berlin zu schätzen gelernt hat. (Regie + Reiseleiterin des TanzTheaterProjektes STUHLUNGEN) Als Raupe in einem halbdurchsichtigen Schlauch kommt sie herbei, als Schmetterling geht sie von der Bühne. Dazwischen liegt ein Tanz, der die ganze Bandbreite von Komödie bis Tragik, Selbstbefreiung bis schmerzendem Verlust in sich trägt. Ihre Ehrlichkeit macht ein kurzes Rap-Intermezzo deutlich, ihre Freude am Körper die sinnlichen bis teuflischen Momente nachfühlbar. Immer wieder ist man an den Tanz im Hof oder der „Ausstellung“ im 3. Stock erinnert, entweder wegen des spärlichen, aber schön placierten Bühnenbildes von Michael Kaiser ( gebrochene Bilderrahmen, surreal zusammengesetzte Guckkasten oder den assoziativen Bewegungen der Transformation.
Was hatte das mit Ibsen zu tun? Eigentlich gar nichts.
Und es war auch gut so.

(ZITTY Berlin)

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